Hier bin ich LaoWei

Ein Buch über China wie kein anderes

Autor: Bernhard Wessling

Verlag: Books on Demand Gmbh (März 2011)

ISBN-13: 978-3842304802

Weblinks (mit Leseproben):

http://www.amazon.de/Hier-bin-ich-Lao-Wei/dp/3842304803/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books&qid=1302439603&sr=8-1

http://books.google.de/books?id=9X06cqfu1hAC&printsec=frontcover&dq=hier+bin+ich+laowei&hl=de&ei=MKehTfD5GcvR4wbJsNWLAw&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=1&ved=0CC0Q6AEwAA#v=onepage&q&f=false

Buch-Rezension:

Jede interkulturelle Beschäftigung beginnt mit der Erfahrung, verloren zu sein. - Edward T. Hall

Dr. Bernhard Wessling’s bemerkenswertes Buch “Hier bin ich LaoWei” beginnt wie so manche andere Bücher über China: Der Autor, ein deutscher Unternehmer und Wissenschaftler, hat sich entschieden, Geschäfte in China zu betreiben und trifft auf große Schwierigkeiten. So weit, so schlecht, könnte man sagen, das ist nicht wirklich etwas Neues. Man setze (oder stelle) sich in einen beliebigen Pub zwischen Lan Kwai Fong und Sanlitun, und man wird zahllose Gespräche all der expats (die ihr Tsingtao-Bier in eiskalt gefrosteten Gläsern in der Hand halten) hören, in denen es um schreckliche Probleme und Schwierigkeiten mit all den Dingen in China geht, ganz abgesehen von all den Netzwerk-Veranstaltungen beliebiger ausländischer Handelskammern in China – Schreckensgeschichten ohne Ende.

Nun, was unterscheidet dann dieses Buch von anderen? Zunächst ist da eine kräftige Ansage „Ein Buch über China wie kein anderes.“ Um es offen geradeheraus zu sagen: als ich das las, war ich erstmal abgeschreckt. Allerlei China-Experten, zeitweilig oder anderweitig mit China befaßt, bevorzugen große Worte, und das ist hier wohl noch so einer, dachte ich. Aber manchmal erscheinen Dinge dann, wenn man sie sich näher anschaut, anders als auf den ersten Blick. Dank Amazon und google-books und anderer Wunder des Internet ist es möglich, ein wenig in Büchern zu lesen, bevor man sie kauft, und das tat ich hier, nur aus Neugier (und weil ich meinen ersten oberflächlichen Eindruck bestätigt sehen wollte, das gebe ich zu). Natürlich ist nur ein kleiner Teil des Textes online verfügbar, und bevor ich mich’s versah hatte ich das alles schon durchgelesen – und wollte mehr davon lesen!

“Hier bin ich LaoWei” ist praktisch vollständig ein Dokument über Leben und Arbeit, Erfolg und Mißerfolg in Shenzhen, so wie es ein ausländischer Geschäftsmann sieht, der hier zuallererst deshalb ankommt, weil sein Geschäft in China zu kollabieren droht. Zahlreiche Geschäftsleute vor ihm (und fraglos auch nach ihm) waren in der gleichen Lage bzw werden es noch sein. In den allermeisten Fällen werden diese Geschäftsleute hierher kommen, das Problem lösen (zumindest denken sie so) und wieder abrauschen. Nicht so Dr. Wessling, er blieb hier, den größten Teil der bisher sechs Jahre, und hat die Dinge in die Hand genommen. Er ist offensichtlich ein ausgezeichneter Beobachter, und er mag Menschen, er beobachtete, hörte und beschrieb anschließend seine Erfahrungen mit den außergewöhnlichen Menschen in dieser riesigen Stadt. Es ist ein Buch über die Menschen in Shenzhen und erzählt uns mehr darüber, wie es an diesem Ort zugeht als viele andere Bücher und Artikel mit Statistiken über das Bruttosozialprodukt, Zahl der Autos pro Straßenkilometer oder pro-Kopf-Einkommen.

Manches davon wird natürlich auch in diesem Buch erwähnt, aber der Autor sieht die Effekte und Reflektionen all diesen “Fortschritts” im Leben ganz gewöhnlicher und noch mehr außergewöhnlicher Menschen. Da ist der Bauer, der Immobilieninvestor wurde, in Gedanken versunken darüber, wie er den Wert seiner Immobilien steigern kann; die junge Frau aus einer von Chinas ärmeren Provinzen, die ein stetig wachsendes Obstgeschäft auf der Straße betreibt, zuerst mit einem Fahrrad, dann mit einem Kleinbus; die Großmutter, die sich Sorgen darüber macht, ob ihre beiden schönen Enkeltöchter gut geraten sind, und zahlreiche weitere einzigartige Personen. Nicht zu vergessen die chinesischen Freunde des Autors aus seinen örtlichen Fußballteams, die fast alle ein eigenes Geschäft aufgezogen haben und trotzdem Zeit finden, diesen wunderschönen Sport am Wochenende zu betreiben. Deren Gedanken,  Sorgen und Überlegungen sind detailreich mit Wohlwollen und Humor beschrieben.

Sogar wenn der Autor sich in die Parks und Außenbezirke der Stadt aufmacht, von denen einige selbst Langzeitbewohnern Shenzhens nicht einmal dem Namen nach bekannt sind, um dem geschäftigen Treiben und Lärm ein wenig zu entfliehen, trifft er unvermeidlich auf eine Gruppe von Pensionären und wartet gemeinsam mit ihnen auf den seltenen „Scharlach-Mistelfresser“, um diesen Vogel zu fotografieren. Zusätzlich zu der sehr lebendigen Beschreibung all dieser Begegnungen enthält das Buch großartige Fotos, die Dr. Wessling in Shenzhen und Umgebung gemacht hat.

In den “geschäftlichen Teilen” (wenn man es so sagen kann) des Buches beschreibt der Autor, wie  es ihm mit Kunden, Konkurrenten, seinen chinesischen Angestellten und Zulieferanten erging. Sogar diese Kapitel sind nicht auf gewöhnliche Art und Weise geschrieben, nicht im “Sun Tzu für’s Management”-Stil, sondern eine sehr erfrischende Beschreibung eines Geschäftsmodells, das erfolgreich ist, weil Entscheidungen gefällt werden auf der Basis tragfähiger Prinzipien. Der Autor vermeidet üblichen Jargon und hohle Phrasen, wie man sie allzu oft in “erfolgreich durch …”-Handbüchern findet, auch in vielen interkulturellen Seminaren und zahllosen Zeitschriften- und Magazin-Veröffentlichungen dunkler Geschichten aus China. Dr. Wesslings fein ausgearbeitete Beschreibung des geschäftlichen Netzwerks, das auf verschiedenen Ebenen mittels Vertrauen und Fairness beruht, ist nach meinem Verständnis das eigentliche „guanxi“ – der Begriff, der im Buch niemals auftaucht.

Die erste Auflage von “Hier bin ich LaoWei” erschien um den 30. Jahrestag der “speziellen Wirtschaftszone Shenzhen” herum, auf deutsch (eine englisch-sprachige Version wird innerhalb der nächsten Wochen verfügbar sein). Im Verlauf der 30 Jahre erlebte Shenzhen und seine Bevölkerung eine Reihe von Herausforderungen, von denen einige in diesem Buch beschrieben sind. Es ist daher auch ein Zeitzeugnis, ein geschichtliches Dokument, auch wenn Dr. Wessling dahingehend mit mir nicht einer Meinung sein mag. Es ist auf jeden Fall keine oberfläche Reiseerzählung oder ein Handbuch über “wie man Geschäfte in China betreibt”, und dies ist ganz offensichtlich auch nicht beabsichtigt gewesen, es ist sehr viel mehr und erlaubt einen tieferen Einblick in diese außergewöhnliche Stadt und ihre außergewöhnlichen Menschen. Extrem empfehlenswert zu lesen, besonders für diejenigen die (in der Vergangenheit, jetzt oder künftig) etwas mit Shenzhen zu tun haben und für jeden, der mehr als nur ein oberflächliches Interesse an China hat.

Autorenwebseite: http://www.bernhard-wessling.net/